Versorgungsstrukturen patientenorientiert gestalten

WADERN

Auf dem Weg von einem Krankenhaus zu einer sektorübergreifenden Versorgungseinheit

StrategieÜber WadernReportageInterviewKontakt

Strategie

So hat Wadern sein neues Konzept entwickelt

Das Problem

Das Krankenhaus in Wadern wurde geschlossen, ohne eine Idee oder ein Konzept für die Zeit danach zu haben. 

Illu1
Illu2

Die Bürgerinitiative bringt sich ein

In einer Stadtratssitzung fühlten sich viele Waderner Bürger von den Vertretern der Landesregierung nicht ernst genommen mit ihrer Befürchtung, künftig im medizinischen Notfall nicht mehr versorgt zu werden. Sie nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand und wurden aktiv: Sie gründeten eine breit getragene Bürgerinitiative, die nicht nur protestieren, sondern gestalten will und seitdem Ideen und Vorschläge für ein Versorgungskonzept entwickelt und mitgestaltet.

Illu2

Das neue Versorgungskonzept

Auf dem ehemaligen Klinikgelände soll in Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten ein ambulant-stationäres, niedrigschwelliges Versorgungsangebot entstehen. Vorgesehen ist eine Akutversorgung mit Basisdiagnostik und Therapie für kleinere Eingriffe sowie eine erweiterte sektorenübergreifende Versorgung für internistische Erkrankungen.

Illu4

Schritte nach vorne

Bürgermeister und Bürgerinitiative sind sich einig, ergänzen sich und sind beharrlich. Und das zeigt Wirkung auf der landespolitischen Ebene. So kommt es, dass über ein Interessenbekundungsverfahren ein Träger für die geplante Einrichtung gefunden wird. 

Der aktuelle Stand

Das Bauvorhaben ist durch die Stadtverwaltung Wadern genehmigt, das Land hat Unterstützung bei den Investitionen zugesagt. Allerdings fehlt noch ein Modell zur dauerhaften Finanzierung der Betriebskosten für das sektorenübergreifende Versorgungskonzept. Deshalb lässt der erste Spatenstich weiter auf sich warten.

Über Wadern

Eine Saarländische Kleinstadt im Dreiländereck
 

Wadern ist eine Kleinstadt und wird dem ländlichen Raum zugerechnet. Das Durchschnittsalter aller Personen in der Kommune beträgt 47,6 Jahre, bundesweit liegt es bei 44.7 Jahren. Die Bevölkerungszahl hat seit dem Jahr 2011 um 2,7 % abgenommen, bundesweit hat sie seitdem um 3.6 % zugenommen. Die über die letzten 4 Jahre gemittelten Steuereinnahmen der Kommune betragen im Jahr 2021 im Durchschnitt 843 Euro pro Einwohner, bundesweit lagen sie bei 1.443 Euro pro Person.

Wadern gehört zum Landkreis Merzig-Wadern. Im Landkreis leben rund 103.000 Einwohner auf einer Fläche von 556,66 km²; was eine Bevölkerung von 186 Personen je km² ergibt.  

Die größte Kommune des Kreises ist die ca. 30 km von Wadern entfernte Stadt Merzig mit knapp 30.000 Einwohnern. Die Großstadt Saarbrücken ist rund 50 km von Wadern entfernt.


Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021. Quellen: wegweiser-kommune.de, destatis.de, statistikportal.de.  Ausführliche Hinweise zu den Quellen finden Sie auf der Seite zur Datengrundlage. 

  • Im Saarland

  • ca. 15.700 Einwohner

  • 111,14 km²

Reportage

Die Macht der höflichen Bürger 

Im nördlichen Saarland kann man sehen, was sich bewegen lässt, wenn alle sich bewegen
und wie eine Bürgerinitiative dabei entscheidende Impulse gibt  

01: Krankenhaus in Wadern: Das Aus

01: Krankenhaus in Wadern: Das Aus
Reportage downloaden

Aber dann war da diese öffentliche Sitzung des Stadtrates...

Interview

„Es ist extrem wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind und auch ihren Teil beitragen zu einer möglichen Lösung“


Interview mit Bernd Mege, Geschäftsführer der SHG-Kliniken und Michael Zimmer, Verwaltungsdirektor des SHG Klinikums Merzig 

Bernd Mege
Bernd Mege

Geschäftsführer SHG-Kliniken

Michael Zimmer
Michael Zimmer

VerwaltungsdirektorSHG Klinikums Merzig

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Ist aus Ihrer Sicht nachvollziehbar, dass die Marienhaus GmbH die Klinik in Wadern geschlossen hat?

ANTWORT


MEGE
Ja. In Wadern und dann später ja auch in Losheim wurden Grund- und Regelversorger geschlossen, weil die unter den heutigen Rahmenbedingungen der Krankenhausfinanzierung  nicht in der Lage sind, kostendeckend zu arbeiten. Da werden Eingriffe und Leistungen erbracht, die keinen hohen Erlöswert haben. Dem steht ein fixer  Kostenblock gegenüber, der durch die zuvor genannten  Rahmenbedingungen nicht gegenfinanziert ist. Die Vorhaltekosten für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung in allen Disziplinen sind einfach zu hoch. Für uns ist klar, dass ein Grundversorger in ländlicher Region keine Chance hat, zu überleben. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Konnten Sie den Protest der Menschen vor Ort trotzdem verstehen? 

ANTWORT


MEGE
Ja. Die Menschen haben qualifiziert ihre Sorgen vorgetragen und die Anforderung gestellt: Wir brauchen hier ein Krankenhaus. Wir sind doch nicht Menschen zweiter Klasse. Damit haben sie den Vergleich angestellt, denn entlang dem Verlauf der Saar finden Sie zuhauf Krankenhäuser. Das ist ungerecht, und das haben die Menschen zurecht an die Landesregierung adressiert. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Wie schätzen Sie die Rolle ein, die die Bürgerinitiative in dem Prozess seit der Krankenhausschließung bis zu dem jetzt geplanten Hochwald-Klinikum spielt? 

ANTWORT


MEGE
Ohne die BI hätte sich da nichts getan.


ZIMMER
Die Bürgerinitiative war der Kern, der die Meinung des Volkes in seiner Dringlichkeit transportiert hat, aber auch Bürgermeister Kuttler. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Bei dem Interessenbekundungsverfahren der Landesregierung haben Sie sich ja nicht mit dem geforderten 300-Betten-Krankenhaus beworben, sondern mit einem sektorenübergreifenden Konzept mit 50 Betten. Trotzdem scheinen heute alle damit zufrieden – wie kam es dazu? 

ANTWORT


MEGE
Wir sind immer wieder zu Versammlungen des Stadtrates und der Bürgerinitiative nach Wadern gefahren, haben sachlichen Dialog gepflegt und begründet, warum ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung dort unter den Rahmenbedingungen nicht geht. In den Debatten vor Ort ist aber auch herausgekommen, dass es gar nicht unbedingt um ein Krankenhaus geht, sondern um Erreichbarkeit und Nähe von qualifizierter medizinischer Versorgung. Anhand von Beispielen verschiedener Krankheitsbilder  aus unseren Notaufnahmen konnten wir aufzeigen, dass viele der Abklärungen, die da vorkommen, mit dem, was wir in Wadern vorsehen, vorgenommen werden können. Wir planen dort ja beispielsweise auch eine Radiologie mit CT. Aber einen schweren Motorradunfall oder invasiv-internistische Krankheitsbilder wie Herzinfarkt oder Schlaganfall können wir dort nicht versorgen. Da geht es darum, den Patienten zu stabilisieren und so schnell wie möglich in eine Klinik zu verlegen, die dem Krankheitsbild entspricht.  

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Das heißt, Sie haben erst einmal Vertrauen durch kontinuierliche Kommunikation aufgebaut? 

ANTWORT


MEGE
Ja. Am Anfang waren die Bürger skeptisch, der Ton manchmal rau. Aber wir waren da immer authentisch, freundlich und ehrlich, sind keine Antwort schuldig geblieben, aber haben auch nichts beschönigt.  Dass die Marienhaus GmbH Ende 2020 kurzfristig Losheim geschlossen hat, bedingte einen deutlichen Vertrauensverlust gegenüber dem bisherigen Krankenhausträger. Die Standortschließung  jetzt auch in Losheim, hat die Bürger und auch die Kommunalpolitik verärgert und hat dazu geführt, dass viele gesagt haben: Zur  SHG haben wir deutlich mehr Vertrauen, sie ist ein guter Träger. Auch dass wir in Wadern Anfang 2021 ärztlich den Notarztstandort übernommen haben, hat das Vertrauen gestärkt. Das Konzept hat sich in Debatten, Einzel- und Gruppendialogen weiterentwickelt. Und zwar mir allen relevanten Akteuren. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Warum war das wichtig? 

ANTWORT


MEGE
Es ist entscheidend, dass die Vielzahl der Player an einem Tisch sitzen und besprechen, wie man die Dinge neu ordnen kann. Wir haben beispielsweise auch mit einzelnen Hausärzten vor Ort und mit dem Hausärzteverband gesprochen. Und natürlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung – man ist bei so einem sektorenübergreifenden Konzept ja auf die Mitwirkung der niedergelassenen Ärzte und deren Kassenarztsitze angewiesen.  

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Und haben Sie da überall offene Türen vorgefunden?

ANTWORT


MEGE
Am Anfang nicht unbedingt. Die einzelnen Ärzte haben ja auch Partikularinteressen. Einige waren zunächst skeptisch und misstrauisch, sahen das Krankenhaus als Feindbild. Aber auch da ist es uns gelungen, Vertrauen aufzubauen. Es gehen ja etliche Hausärzte demnächst in den Ruhestand, und es gibt jetzt schon freie Sitze. Und auch die Hausärzte leiden  darunter, dass es lange dauert, wenn sie Patienten zu fachärztlichen Kollegen überweisen wollen. Es gibt im niedergelassenen Bereich einen großen Mangel bei der Nachfolgebetrachtung. Deshalb muss man sich auch darüber Gedanken machen, wie man mit einer künftigen Arztgeneration umgeht, die ihre Zukunft nicht unbedingt in einer Selbstständigkeit sieht, sondern eher in einem Angestelltensystem. Wir haben unser Konzept dargelegt und mittlerweile hat sich die Erkenntnis eingestellt, dass wir kein Konkurrent, sondern Partner in der Gesundheitsversorgung  sind.

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Müssen auch deshalb alle Akteure an einen Tisch? 

ANTWORT
 

MEGE
Ja, dabei geht es zum einen darum, alle mitzunehmen, zum anderen aber auch darum, Lösungen für drängende Probleme in der Region zu finden: Wenn man beispielsweise nicht mehr genügend Fachärzte hat und am Ende nur die stationäre teure Versorgung übrig bleibt, ist das ja auch nicht sinnvoll. Da werden Patienten mit Krankheitsbildern stationär aufgenommen, die man in einer niederschwelligen sektorenübergreifenden Versorgungsstätte hätte versorgen können. Damit ist dieser Patient fehlgesteuert in das stationäre Setting, verursacht enorme Kosten, obwohl es nicht sein muss. Den Beweis, dass eine sektorenübergreifende Versorgung am Ende besser und günstiger ist, möchten wir gerne antreten.


ZIMMER
Wir erleben häufig, dass Patienten, deren Ärztinnen und Ärzte die Praxen geschlossen haben, ins Krankenhaus gehen, wenn sie nicht ad hoc einen fachärztlichen Termin in einer anderen Praxis bekommen. Wir haben deutliche Zunahmen in unseren Notaufnahmen. Zum einen haben wir dafür aber die Infrastruktur nicht, zu anderen bekommen wir eine Vergütung, die der im ambulanten Bereich deutlich nachhängt. Da brauchen wir andere Modelle. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Spielt die Presse in dem Prozess in Wadern eigentlich eine wichtige Rolle? 

ANTWORT
 

MEGE
Ja, absolut. Die lokale Presse war sehr interessiert und sehr konstruktiv in der Debatte. Übrigens auch die politischen Gremien waren sehr interessiert. 

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Hatten Sie in diesem Prozess eine spezielle Kommunikationsstrategie? 

ANTWORT


MEGE
Die war entsprechend unserer Managementphilosophie: Vertrauensbasis herstellen für wirksame Kommunikation, zuhören, Wertschätzung zeigen, aber auch in der Debatte zielgerichtet agieren und kommunizieren. Auch nichts schönreden. Das machen wir immer so.  

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Wäre das auch ein Rat an Akteure, die derartige Prozesse noch vor sich haben?  

ANTWORT


MEGE
Ja. Es ist extrem wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind und auch ihren Teil beitragen können zur möglichen Lösung. Es geht darum, dass alle erkennen, dass es Sinn macht, gemeinschaftlich voranzugehen und eher kontraproduktiv ist, wenn alle Beteiligten sich nur auf ihre Einzelziele ausrichten. Wir müssen gemeinsam die Schnittmenge finden – mit der BI, mit der Lokalpolitik, mit den Ärzten, mit der KV, mit allen Beteiligten – und uns dann auf ein Ziel ausrichten. Kommunikation ist dabei das A und O. Man muss die Player identifizieren und stetig kommunizieren, sonst verselbstständigen sich diese.  

FRAGE

HEALTH TRANSFORMATION HUB

Obwohl sich in der Region alle einig zu sein scheinen, stockt das Projekt, weil die grundsätzliche Frage der Finanzierung noch nicht geklärt ist, in der Bevölkerung entsteht Misstrauen, das in Ablehnung umschlagen könnte. Fürchten Sie das? 

ANTWORT


MEGE
Wir haben die Planungen ja vor Corona begonnen, und natürlich hat diese Krise alles verzögert. Aber wir bekennen uns nach wie vor zu unserem Vorhaben und arbeiten weiter daran, es umzusetzen. Dabei sind wir jetzt auf die Politik angewiesen.  


ZIMMER
Unser Bestreben ist, ein Pilotprojekt machen zu können und nicht auf eine Gesetzesänderung auf Bundesebene warten zu müssen. Wir wissen aus Vorläuferprojekten in anderen Gegenden, dass die dauerhafte Finanzierung ein wesentlicher Punkt ist, der von Anfang an geklärt sein muss. Sonst geht es nach drei, vier fünf Jahren in die Miesen, man weiß nicht mehr weiter und stellt ein sinnvolles Projekt wieder ein - nur weil der grundsätzliche Rahmen nicht stimmt. 

Interview downloaden

Galerie

Veranstaltung der Bürgerinitiative

Rückbau, Nov. 2020

Modell der SHG-Klinik Hochwald

Modell der SHG-Klinik Hochwald

Kontakt

Ihre Ansprechpartner  

rund um die Projekte zum Thema Transformation von Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem