Versorgungsstrukturen umbauen

Lörrach

Von vier Kliniken zu einem neuen Zentralkrankenhaus für den Landkreis

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Strategie

Das Problem

Im Landkreis Lörrach gab es mehrere Kliniken mit enormem Investitionsbedarf bei begrenzten Möglichkeiten der Erweiterung und Erneuerung. Eine gute Infrastruktur für moderne Medizin fehlte. 

Das Vorgehen

Für die Grundsatzentscheidung über die zukünftige Krankenhauslandschaft wurde nie eine fixe Lösung präsentiert, sondern immer verschiedene Lösungsmöglichkeiten - in Form von sieben Szenarien. Diese wurden zunächst vertraulich mit den Kreistagsabgeordneten, dann in Workshops mit den Kliniken und in Bürgerversammlungen in Lörrach, Schopfheim und Rheinfelden diskutiert. Dabei wurden Vorschläge und Anregungen gesammelt, die zum Teil in die Planungen eingeflossen sind. Die Standortfrage wurde bewusst davon getrennt und in einem zweiten Schritt anhand klar definierter Kriterien entschieden. 

Das Veränderungsklima

Die Lörracher sind überwiegend zufrieden mit den Planungen. Weder begleitet Protest aus der Bevölkerung den Transformationsprozess, noch machen Politiker Stimmung gegen die Neuausrichtung.  

Der Erfolgsfaktor

Die Verantwortlichen der Kommunen bauen untereinander eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf und wenden sich dann gemeinsam an die Öffentlichkeit, um die Optionen zu diskutieren und Anregungen zu sammeln. 

Die Lösung

Vier Krankenhäuser im Landkreis werden geschlossen. Dafür entsteht bis 2025 das neue Zentralklinikum, ein Gesundheitscampus mit stationären, teilstationären und ambulanten Versorgungsangeboten. 

Über Lörrach

  • In Baden-Württemberg

  • ca. 229.445 Einwohner

  • 806,66 km²

Ein Landkreis im äußersten Südwesten der Republik


Im Landkreis Lörrach leben knapp 230.000 Einwohner auf einer Fläche von 806,66 km²; daraus folgt eine Bevölkerungsdichte von 284 Personen je km². Die Bevölkerungszahl hat seit dem Jahr 2011 um 4,5 % zugenommen, bundesweit hat sie seitdem um 3.6 % zugenommen. Die über die letzten 4 Jahre gemittelten Steuereinnahmen der Kommunen des Landkreises betragen im Jahr 2021 im Durchschnitt 1.395 Euro pro Einwohner, bundesweit lag sie bei 1.443 Euro pro Person. Das Durchschnittsalter aller Personen im Landkreis Lörrach beträgt 44,3 Jahre, bundesweit liegt es bei 44.7 Jahren. Der Landkreis ist dem Regierungsbezirk Freiburg, Region Hochrhein-Bodensee zugeordnet.

Im Landkreis Lörrach liegen die Städte Lörrach (49.318 Einwohner) Rheinfelden (33.045 Einwohner) und Schopfheim (19.922). Von der Stadt Lörrach sind es ca. 70 km nach Freiburg und ca. 10 km in die Innenstadt nach Basel (CH).  

Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021. Quellen: wegweiser-kommune.de, destatis.de, statistikportal.de. Ausführliche Hinweise zu den Quellen finden Sie auf der Seite zur Datengrundlage.  

Reportage

Wertschätzung statt Widerstand – 
auf dem Weg zu einer Zentralklinik im Landkreis Lörrach 


In Lörrach wird ein neues Zentralklinikum vier alte Krankenhäuser ersetzen: 
Das geht ungewöhnlich ruhig und stringent vor sich. Das liegt auch an einem gut strukturierten Prozess, zu dem die Verantwortlichen eingeladen hatten 

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01: Eine einvernehmliche Lösung oder: Ein Weg mit Plan

Ein Weg mit Plan: In Lörrach ist es das Unauffällige, das auffällt, das Erwartbare, das fehlt: In dem Landkreis im südwestlichsten Zipfel Deutschlands werden vier Krankenhäuser geschlossen zugunsten eines Neuen: Bis 2025 entsteht am Stadtrand das neue Zentralklinikum, ein Gesundheitscampus mit stationären, teilstationären und ambulanten Versorgungsangeboten. Das hat der Kreistag 2017 mit großer Mehrheit beschlossen, und seitdem wird geplant und inzwischen gebaut. Ohne Rückschritte, ohne Widerstand, ohne Bürgerinitiativen, die für den Erhalt ihrer alten Krankenhäuser und gegen den Bau der neuen Klinik kämpfen, ohne Politikerinnen und Politiker, die aus dieser Stimmung Stimmen zu machen versuchen, ohne Attacken. Eine Umfrage der Badischen Zeitung ergab 2021, dass über 60 Prozent der Lörracher rundum oder überwiegend zufrieden sind mit den Planungen zur neuen Zentralklinik. Was ist da los, in Lörrach? Warum geht hier scheinbar so unaufgeregt voran, was anderswo ganze Regionen entzweit?

Man erhält unterschiedliche Antworten auf diese Frage, aber sie ähneln sich doch in einem Punkt: Es hat wohl mit den handelnden Personen zu tun. Wer mit Akteur*innen in der Region spricht, hört immer wieder: „Die Landrätin und der Klinikgeschäftsführer, das sind eben auch sehr charismatische und integrierende Persönlichkeiten“. Dennoch liegt der Erfolg der Entwicklung wohl nicht nur im persönlichen Charisma der handelnden Personen begründet, sondern auch in deren Strategie. Denn der Weg, den sie gegangen sind, war nicht zufällig, sondern mit Bedacht gewählt – Schritt für Schritt. Und noch etwas scheint entscheidend: Sie sind ihn nicht allein gegangen, sondern haben sich schon begleiten lassen, als das Ziel noch nicht klar war. Mit anderen Worten: Sie haben die verschiedenen Anspruchsgruppen mitgenommen auf den Weg der Erkenntnis. 

02: Die Vorgeschichte

Als Armin Müller, von 2010 bis Sommer 2022 Geschäftsführer der Kreiskliniken Lörrach, vor 13 Jahren kam, stellte er schnell fest, dass er es mit drei Kliniken zu tun hatte, die einen enormen Investitionsbedarf bei beschränkten Möglichkeiten der Erweiterung und Erneuerung hatten. Ärztinnen und Ärzte beschwerten sich über Operationssäle aus den 50er bis 70er Jahren und fehlende Möglichkeiten für moderne Medizin. Der Satz „Herr Müller, so kann ich nicht arbeiten“, fiel häufig.

Müller wurde klar: Es besteht Handlungsbedarf. Dabei konnte er auf dem aufbauen, was seine Vorgänger schon Mitte der 90er Jahre als „Lörracher Weg 1.0“ initiiert hatten. Dabei hatten sich die damaligen Träger der vier örtlichen Krankenhäuser, der Landkreis und der Orden der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul in Freiburg, zu etwas durchgerungen, was Müller „wettbewerbsfreie Vorhaltung“ nennt: Sie hatten Doppelstrukturen abgebaut, und statt auf Konkurrenz auf Kooperation gesetzt und gehofft, so die Kliniken dauerhaft sichern und eine Privatisierung abwenden zu können. Seitdem gibt es beispielsweise eine Geburtshilfe nur noch im Elisabethenkrankenhaus des Ordens, dort entstand die Klinik für Familie und Kind. Eine Notfallversorgung gibt es zwar an allen Standorten, komplexere Notfälle aber werden in der Kreisklinik in Lörrach versorgt, auch die Chirurgie wurde dort konzentriert. Müller wunderte sich zunächst, dass es trotzdem weiterhin eine Orthopädie in Rheinfelden und eine Handchirurgie in Schopfheim gab: „Ich hatte schließlich immer noch drei alten OP-Säle“. Aber: „Als ich mich eingelesen hatte wurde mir klar: Die Menschen waren sehr weise gewesen. Mehr als das, was die erreicht hatten, war damals überhaupt nicht möglich.“ Denn sie hatten schon damals für die Bevölkerung schmerzhafte Einschnitte durchgesetzt, wie etwa die Schließung von Geburtshilfe-Stationen, Konzentration von Laboren und die Versorgung von schwereren Notfällen an nur noch einem Standort. 

03: „Hier muss etwas passieren“

Trotzdem reichte es nicht: Nachdem Müller zwei Jahre lang konsolidiert und es so geschafft hatte, wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, war zunächst das Gespenst der Privatisierung auf Sicherheitsabstand gebracht. Aber steigende Patientenzahlen bei beschränkten Möglichkeiten der Erweiterung, enorme Investitionsbedarfe in allen drei Kreiskliniken, sich ändernde Rahmenbedingungen ließen Müller zu dem Schluss kommen: „Hier muss dringend etwas passieren“. Er stellte Überlegungen an zur Lösung der Probleme. Eine Verbündete fand er dabei in der Landrätin Marion Dammann, eine wichtige Begleitung in einer Consulting-Firma aus Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam haben sie sich auf den „Lörracher Weg 2.0“ gemacht.  

Müller hatte Politik und Öffentlichkeit über die schwierige Situation der Kliniken nie im Unklaren gelassen. Insofern war wohl auch niemand wirklich überrascht, als 2015 bei einer Wochenend-Klausursitzung des Kreistages zur Zukunft des Landkreises auch das Thema „Zukunft der Kliniken“ auf der Tagesordnung stand. Die Landrätin hatte Ort und Zeitpunkt mit Bedacht gewählt: „Uns war klar, dass wir das nicht im Rahmen einer Ausschuss- oder Kreistagssitzung machen können. Das ist viel zu formal, und da haben die Abgeordneten auch gleich das Gefühl, sie müssen sich irgendwie positionieren. Aber in dieser Atmosphäre der Tagung war das etwas anderes. Da waren alle wesentlich entspannter. Es war auch keine Presse dabei, niemand musste sich profilieren.“  

Und so stellten Müller und die Beraterin der Consulting-Firma verschiedene Möglichkeiten vor, die Misere hinter sich zu lassen und die Krankenhäuser zukunftsfähig zu machen. Alle drei Kreiskliniken sanieren und modernisieren? Sich auf zwei Standorte konzentrieren? Oder nur auf einen? Mit OPs in mehreren Häusern oder nur in einem? Gar nicht sanieren und stattdessen ein ganz neues Klinikum bauen? Und was würde mit dem Elisabethenkrankenhaus passieren? Insgesamt sieben Modelle diskutierten die Politikerinnen und Politiker mit den Expert:innen.  

04: Gemeinsam auf dem Weg

„Am Ende waren alle ganz euphorisch und wollten am liebsten am nächsten Tag eine Pressekonferenz geben“, erzählt Landrätin Dammann. Dabei war ja noch gar nichts entschieden. Aber alleine die Aussicht, das Schicksal der Krankenhäuser in die eigenen Hände zu nehmen, ohne dabei auf einen Investor von außen warten zu müssen – das war ein Durchbruch. „Aber wir haben das gebremst, denn wir wussten, wenn wir das jetzt öffentlich diskutieren, wird alles zerredet.“  

Für Christoph Nitz, damals Bürgermeister von Schopfheim – eine der Gemeinden, die künftig kein Krankenhaus mehr haben wird, war diese gestufte Transparenz einer der Schlüssel zum Erfolg des ganzen Projektes: „Die Landrätin ließ sich in die Hand von jedem Einzelnen versprechen, dass wir das, was wir nun besprechen würden, zunächst mal für uns behalten würden“, erzählt er. Und so hielten tatsächlich 60 Menschen über Monate dicht. „Ich war selber überrascht, dass das alle so mitgetragen haben. Aber wahrscheinlich haben sie gespürt: Das hier ist etwas Besonderes. Wenn wir da Erfolg haben wollen, dann müssen wir zusammenstehen“, sagt Marion Dammann.

Es gab Müller, Dammann und der Beraterin die gewünschte Zeit, auch die Mitarbeitenden in den Kliniken und die Bevölkerung abzuholen und mit auf den Weg in Richtung Zukunft zu nehmen.  In Workshops in den Kliniken und in Bürgerversammlungen in Lörrach, Schopfheim und Rheinfelden führten sie in den folgenden Wochen die gleichen Diskussionen wie mit den Kreistagsmitgliedern. Nirgendwo präsentierten sie Lösungen, überall Lösungsmöglichkeiten – in Form der sieben Szenarien. Und sie sammelten Vorschläge und Anregungen, von denen etliche später in die Planungen einflossen. Beispielsweise beklagten Bürger immer wieder, dass es zu wenig psychiatrische Versorgung im Landkreis Lörrach gebe – künftig wird das Zentrum für Psychiatrie Emmendingen auf dem Gelände des Zentralklinikums eine Psychiatrie mit mehr als 100 Betten für Erwachsene und eine Kinder- und Jugendpsychiatrie betreiben.  

05: Erste Entscheidung: Eine Zentralklinik

Parallel gab es Gespräche mit dem Orden, der sich schließlich bereitfand, das Elisabethenkrankenhaus in die Trägerschaft des Landkreises zu geben. Das machte die Dinge einerseits einfacher, andererseits erhöhte es den Platzbedarf noch mehr. „Mit dem Hinzukommen des Elisabethenkrankenhauses wurde klar, dass eine neue Option geschaffen werden muss: Neubau. Denn der Standort in Lörrach war kaum zu erweitern. Das wäre nur mit Abriss und Neubau gegangen“, so Müller.  

Und so stellen Mitarbeitende, Bürger und Politiker die gleichen Fragen: Alle Standorte zu sanieren und zu modernisieren, wäre das nicht viel zu teuer? Und gebe es Zuschüsse von Bund und Land nicht auch eher für den Bau neuer als die Sanierung alter Häuser? Und im laufenden Betrieb zu sanieren, würde das nicht zu einer enormen Belastung von Personal und Patienten führen und diese vielleicht sogar in die Flucht schlagen? Und hätte man bei mehreren Standorten nicht immer noch das Problem, dass man Patienten hin und her fahren müsste? Und wäre dann nicht so ein richtig modernes neues Klinikum an einem ganz anderen Standort eigentlich die beste der Alternativen? Am Ende schien das die überzeugendste Lösung und so beschloss der Kreistag 2015 einstimmig, ein neues zentrales Klinikum zu bauen.

Doch nun kam die nächste Frage: Wo sollte sie stehen, die neue Zentralklinik, wie sie fortan hieß? Die Verantwortlichen hatten bewusst die grundsätzliche Entscheidung von der Standortfrage getrennt. In einer Ausschreibung wurden nun bestimmte Anforderungen formuliert: Der Standort müsste für alle Landkreisbewohner*innen gut erreichbar, also einigermaßen zentral liegen, an den Öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sein, das Grundstück müsste eine gewisse Größe haben. 

06: Aber wo soll sie stehen?

Es bewarben sich die damaligen Standorte Schopfheim, Rheinfelden und die Stadt Lörrach mit einem Grundstück außerhalb der Stadt.

Wie sollte man das entscheiden? Was müsste man für eine solche Entscheidung überhaupt berücksichtigen? Wiederum gemeinsam entwickelten Klinikgeschäftsführer Müller, die Beraterin, die Landrätin, der Aufsichtsrat der Kliniken und die Kreistagsmitglieder eine Matrix der wichtigsten Kriterien und deren Gewichtung. Da wurde über jedes Prozent diskutiert. Von Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr und Straße, über Bodenbeschaffenheit und Zentrumslage. Die Politiker mobilisierten jeweils für ihren Ort, Bürger sammelten Unterschriften und kamen auch zu der entscheidenden Sitzung des Kreistages im April 2017. Der entschied anhand der selbst erstellten Matrix mit deutlicher Mehrheit für den Standort in Lörrach-Entenbad. Seitdem wird geplant und inzwischen gebaut - begleitet von kritischer Aufmerksamkeit, aber nicht von Protest.  

Das mag auch daran liegen, dass die zuständigen Bürgermeister die Entscheidung akzeptiert haben: So sagt etwa Christoph Nitz, damals Bürgermeister von Schopfheim: „Bei der Matrix hätte ich beispielsweise einige Faktoren anders bewertet, dann wäre es vielleicht Schopfheim geworden. Aber sei es drum – ich bin Demokrat, und es war eine demokratische Entscheidung. Die ist zwar gegen unseren Standort gefallen, aber so ist es nun mal, und dann muss man für den neuen Standort kämpfen“. Auch Klaus Eberhardt, Oberbürgermeister von Rheinfelden, sagt: „Der Prozess war sehr offen, und wie das unter Demokraten sein sollte, ist dann eine Mehrheitsentscheidung akzeptiert worden und nun wird darauf hingearbeitet, dass man die gut umsetzt“.

Für diesen Umgang zollt Klinikgeschäftsführer Müller den Politikern seinerseits Respekt: „Es waren diese beiden Menschen, die die Weitsicht hatten, sich an die demokratischen Spielregeln zu halten. Sie haben nicht mehr gezündelt. Das hätten die auch anders machen können.“ 

07: Transparenz + Sachlichkeit = Vertrauen

Auch Kathrin Ganter, Redakteurin der Badischen Zeitung, hat das so beobachtet: „Es wurde ergebnisoffen geprüft. Aber nachdem die Entscheidung einmal getroffen war, wurde sie nicht mehr in Frage gestellt.“ Für sie ist es vor allem die Transparenz, die Ruhe in den Prozess gebracht habe. Man habe nie das Gefühl gehabt, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde: „Da war nichts im stillen Kämmerlein: Wer was wissen wollte, konnte fragen und bekam immer Antworten.“

In den Augen der Redakteurin ist es diese Transparenz – neben der Einigkeit zwischen Klinikgeschäftsführung und Landrätin – die die Entwicklung so linear und erfolgreich macht. Hinzu komme eine große Sachlichkeit – beides gemeinsam hätte Vertrauen geschaffen. Sie erläutert das am Beispiel der Entscheidung für den Standort: „Dieses ausgeklügelte Bewertungssystem, bei dem dann am Ende Lörrach gewonnen hat, das war eine klare und sachliche Entscheidung. Und jeder konnte nachvollziehen, wie sie zustande gekommen ist. Dagegen kam man mit so einem emotionalen Argument wie „Ich will doch mein Krankenhaus behalten“, nicht an. Das war sehr klug. Die haben sich einfach nicht darauf eingelassen, Befindlichkeiten bedienen zu wollen. Und das war gut.“

Transparenz + Sachlichkeit = Vertrauen: In Lörrach war den Akteur*innen diese Gleichung von Anfang an klar. Sie haben dabei nicht zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen unterschieden, denn egal ob Mitarbeitende, Politik, Medien, Bevölkerung: Alle sind gleich wichtig.

Beispiel Medien:  Kathrin Ganter: „Es gab eine sehr gezielte Medienarbeit. Die war sehr gut, sehr offen. Es gab immer wieder einordnende Gespräche, man konnte die Klinik jederzeit kontaktieren, man wurde gut informiert. Das sorgte für Vertrauen.“

Und auch wenn es mal Probleme gebe, würde seitens der Bauleitung und der Klinik darüber informiert werden, beispielsweise bei der Entwicklung der Baukosten oder als es Coronafälle auf der Baustelle gab. Das schaffe Transparenz, was die Entwicklung des Neubaus angeht. 

08: Kommunikation: Alle sind wichtig

Beispiel Mitarbeitende der Kliniken: „Das sind bei uns 2000 Menschen, die alle Familien haben. Und wenn die gegen so ein Projekt wären, müsste man zunächst einmal die überzeugen“, sagt Müller. Das sei aber nie der Fall gewesen, auch nicht an den kleineren Standorten in Schopfheim und Rheinfelden. „Denn die Menschen haben ja gesehen: Uns fehlt immer ein Stück Medizin.“ Weil nicht mehr überall alles vorhanden gewesen sei, hätten eben viele Patienten dann doch nach Lörrach gefahren werden müssen. „Den Leuten war klar, dass kann nicht die Zukunftslösung sein“, so Müller. Trotzdem bedeute die Reduktion der Standorte natürlich für viele der Mitarbeitenden weitere Wege und für den einen oder anderen auch die Aufgabe einer Leitungsposition. Und natürlich seien viele auch traurig gewesen – sie hatten sich ja mit ihrem Krankenhaus identifiziert, „aber sie wussten trotzdem: Die Zukunft ist das nicht“. Auch der Betriebsrat habe von Anfang an hinter dem Vorgehen gestanden. Außerdem: Von der Entscheidung 2016 bis zur geplanten Umsetzung 2025 liegen neun Jahre, um sich umzugewöhnen oder umzuorientieren.

Beispiel Bevölkerung: „Man hat auch den Widerstand, den es am Anfang gab, sehr ernst genommen. Es wurden viele Gespräche geführt, gab viele Veranstaltungen vor Ort, Frau Dammann und die Klinikleitung sind überall hingefahren und haben die Probleme immer und immer wieder erklärt. Es gab auch viel Beteiligung, wo man Ideen einbringen konnte, nicht nur in Lörrach,“, erzählt Kathrin Ganter.

Und auch darüber gab es Transparenz: „Wir haben nach den Bürgerversammlungen immer eine Zusammenstellung gemacht: Welche Argumente wurden vorgebracht, an welcher Stelle wurden die geprüft, wie sind die bewertet worden?“, sagt die Landrätin. 

09: Bau in schwierigsten Zeiten

Für dieses Vorgehen gibt es viel Wertschätzung – auch aus der Politik. So sagt etwa Rheinfeldens Oberbürgermeister Klaus Eberhardt: „Man hat sich auch in hohem Maße professionalisiert und man hat alle Punkte, die dann aufgetreten sind, gut aufgenommen und einbezogen.“ So habe er beispielsweise zusammen mit den Grünen im Kreistag eine zusätzliche Projektsteuerung aus Sicht der Politik gefordert, die die Kosten- und Bauentwicklung unabhängig überprüfe. Diesem Antrag sei stattgegeben worden. Und so gibt es jetzt eine zusätzliche Kontrollinstanz. Die Landrätin hat außerdem einen Bau- und Planungsausschuss eingerichtet, der sich nur mit dem Krankenhausbau befasst.

Inzwischen ist der Rohbau fast fertig. In den zurück liegenden drei Jahren haben Coronakrise, Ukraine-Krieg, explodierende Baukosten und Inflation den Alltag der Kliniken und auch des Bau-Projekts massiv beeinflusst. Auf der Homepage werden die Tage, Stunden, Minuten, Sekunden bis zur geplanten Eröffnung des Klinikums 2025 heruntergezählt – nun rund sechs Monate später als ursprünglich geplant. Ebenfalls veröffentlicht werden die geplanten und die tatsächlich aufgelaufenen Baukosten. Statt der ursprünglich avisierten 314 Millionen Euro geht man inzwischen  von mehr als 413 Millionen Euro aus – Tendenz steigend.

Dass es ein Bau in schwierigsten Zeiten werden würde, konnte man zu Beginn der Planungen nicht wissen. Ihn jetzt nicht fortzusetzen, ist trotzdem keine Alternative.  „Es ist undenkbar, den Bau einfach einzustellen", sagt Projektleiter Thorsten Stolpe. Würde erst in ein paar Jahren weiter gebaut werden, würden die Kosten noch höher liegen. Und die alten Probleme der sanierungsbedürftigen Kliniken blieben ja auch ungelöst.  

Die Stimmung ist insgesamt etwas weniger euphorisch als zu Beginn. Lokalredakteurin Ganter berichtet beispielsweise von den Schwierigkeiten des Übergangs: „Uns haben in den letzten Monaten viele Schilderungen von Leserinnen und Lesern erreicht, die mit der Behandlung vor allem in Rheinfelden überhaupt nicht zufrieden waren. Die Menschen haben den Eindruck, da würde nicht mehr genug investiert.“.  

10: Fakten statt Emotionen

Diskussionen gibt es auch über den S-Bahnanschluss, den es auf der grünen Wiese, auf der das Zentralklinikum entsteht, noch nicht gibt. Ihn zu bauen erfordert Verhandlungen mit der Bahn und aufwendige Planungen. Aber der ganz große Aufreger ist das nicht – wenngleich vermutlich auch einige Akteure aus Schopfheim murmeln „habe ich doch gleich gesagt“. Aber sie tun es eben leise.

Trotzdem: Es geht nun darum, Begeisterung für die neue Klinik zu wecken. „Als wir vor einiger Zeit mit den Mitgliedern des Planungs- und Bauausschusses eine Baustellenbesichtigung gemacht haben, kam Begeisterung auf, weil man die Dimension nun richtig spüren kann“, erzählt Marion Dammann. Webcams zeigen rund um die Uhr, was auf der Baustelle passiert und künftig soll es Besichtigungen auch für interessierte Bürger*innen geben.  Die Landrätin: „Wenn 2025 die Türen aufgehen, sollen die Leute da mit Begeisterung reingehen, egal, ob Sie Mitarbeitende, Patienten oder Kreistagsmitglieder sind“.  

Auch wenn alle immer wieder betonen, wie wichtig die handelnden Personen für den Prozess sind – es lässt sich doch einiges lernen, von Lörrach.  

So sagt etwa die Lokalredakteurin: „Für mich ist die Essenz des Erfolges, dass es sich lohnt, offensiv und frühzeitig zu informieren und so viel wie möglich zu beteiligen. Außerdem helfen Fakten gegen Emotionalität, und die muss man immer und immer wieder erklären, denn der Großteil der Leute ist ja vernünftig. In der Diskussion nimmt man immer die Lautesten wahr, aber die meisten überlegen sich doch ganz rational, was am besten ist. Und da leuchtet es sowohl den Mitarbeitenden wie den Patienten schon ein, dass es besser ist, eine große und moderne Klinik zu haben als drei Bruchbuden.“  

11: Rat an andere

Oberbürgermeister Klaus Eberhardt findet, dass es lohnt, Themen frühzeitig und ohne Vorfestlegung in die Öffentlichkeit tragen, um erstmal ein Problembewusstsein zu schaffen.  

Und auch Schopfheims ehemaliger Bürgermeister Nitz ist voll des Lobes für die Akteure: „Für mich ist das Geheiminis darin begründet, dass man sich genügend Zeit genommen, alle Vor- und Nachteile abgewogen und sich dafür auch Hilfe von außen geholt hat. Es war gut, ergebnisoffen an das Thema heranzugehen. Nicht nach dem Motto: Da wollen wir hin und dafür suchen wir Argumente. Sondern andersrum: Welche Optionen haben wir und welche Vor- und Nachteile könnten die jeweils haben? Das fand ich in diesem Prozess sehr bereichernd und wichtig. Das war eine sehr vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit und hat auch dazu beigetragen, dass wir einen einstimmigen Kreistagsbeschluss hinbekommen haben.“  

In Lörrach kann man sehen, dass die wichtigste Währung in einem Veränderungsprozess das Vertrauen ist. Und zwar das Vertrauen aller Anspruchsgruppen, die die Veränderungen tragen sollen und von ihnen betroffen sind. Dieses Vertrauen muss verdient werden durch die Investition in Transparenz und Sachlichkeit. Nur wer Entscheidungen nachvollziehen kann, wird das Gefühl entwickeln, sie seien zu seinem Besten. Nur wer das Gefühl hat, Fakten entscheiden, statt Emotionen, kann in die Entscheidungen und die Entscheidungsträger vertrauen.

Weiterentwicklung des Vorhabens

Weiterentwicklung des Vorhabens

Wir begleiten den Transformationsprozess in verschiedenen Regionen Deutschlands kontinuierlich. 

So erhalten wir tiefere Einblicke in den Wandel des Gesundheitssystems vor Ort und können Prozessschritte im Zeitverlauf abbilden.

Februar 2024

Ursprünglich sollten die aktuell vier Kliniken des Landkreises Lörrach (KKH) so lange betrieben werden, bis das neue Zentralklinikum – voraussichtlich 2025 - eröffnet wird. Doch politische Rahmenbedingungen und konkret vor allem ein hoher Bedarf an Fremdpersonal haben bei den KKH hohe Defizite entstehen lassen - allein 2023 in Höhe von rund 34 Millionen Euro. Die Politik musste handeln.

Dabei wurden verschiedene Szenarien diskutiert – begleitet von Protesten in den Orten Rheinfelden und Schopfheim, die ihre Kliniken vorzeitig zu verlieren drohten. Im November 2023 entschied der Lörracher Kreistag, die medizinischen Abteilungen des Rheinfelder Krankenhauses in den nächsten Monaten nach Schopfheim und Lörrach zu verlagern. 

August 2024

Ende April war Schluss für das Krankenhaus Rheinfelden: Die aktuellen Patientinnen und Patienten wurden in die Krankenhäuser nach Lörrach und Schopfheim verlegt, der Standort geschlossen. Wie es mit dem Gebäude weiter geht, wird aktuell diskutiert. Eine Initiative hat bereits erste Ideen vorgelegt.

Der Bau des Zentralklinikums geht derweil voran. Es an Rad-, Fuß-, Straßen- und öffentlichen Personennahverkehr anzubinden, ist allerdings äußerst komplex. Und so wird die Klinik wohl erst 2033 einen direkten Anschluss an die Bundestraße haben und erst 2035 einen eigenen Halt der S-Bahn. Bis dahin geht es mit Bussen und durch das Gewerbegebiet zur Klinik. 

November 2024

Wir verfolgen die Transformationsprozesse in den Regionen kontinuierlich. Weitere Aktualisierungen zu Wandel veröffentlichen wir künftig quartalsweise.

Interview

Interview mit
Marion Dammann, Armin Müller & Thorsten Stolpe

„Es sind immer die Menschen, die über den Prozess entscheiden“ 

Interview mit Marion Dammann, Landrätin des Landkreises Lörrach, Armin Müller, bis vor kurzem Geschäftsführer der Kreiskliniken Lörrach und Thorsten Stolpe, Projektleiter Campus Neues Klinikum 

Marion Dammann
Armin Müller
Thorsten Stolpe

HEALTH TRANSFORMATION HUB
In Lörrach fällt auf, dass der Prozess recht linear gelaufen ist. Lag das an der badischen Mentalität, die als einigermaßen ausgeglichen gilt oder war das Ihr Verdienst? 

 

DAMMANN
Wir haben uns sehr genau überlegt, wie wir es schaffen können, einen guten Prozess hinzubekommen. Wichtig war, nicht zu sagen: Wir wollen ein neues Klinikum. Sondern zu sagen: Wir gucken uns mal unsere drei Standorte an, was ist da zu tun? Dabei haben wir – und auch die Menschen selber - gesehen: Das Zentralklinikum ist die beste Lösung, die anderen Varianten führen nicht so zum Ergebnis. Diese Selbsterkenntnis der Menschen war ein ganz wichtiger Punkt.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
War es von Vorteil, dass Ihre Vorgänger zuvor den Lörracher Weg 1.0 gegangen und Doppelstrukturen in den einzelnen Kliniken schon abgebaut waren?  

 

DAMMANN
Oh ja, dadurch war unsere Ausgangsposition sehr gut. So konnte man schon mal bestimmte Sorgen nehmen, etwa dass Notfälle wie ein Herzinfarkt in Rheinfelden oder Schopfheim nun nicht mehr versorgt werden würden. Die werden jetzt schon in Lörrach konzentriert. Und der Notarztwagen ist ein rollendes Krankenhaus.


MÜLLER
Am Anfang eines solchen Prozesses müssen Sie genau hinschauen: Wo stehen Sie? Wie ist die Ausgangslage? Hätten wir drei Standorte gehabt, die miteinander im Wettbewerb stehen, hätten wir damit ganz anders umgehen müssen. Und es ist immer gut, die medizinische Diskussion zu führen, nicht die über die Entfernungen: Ist es wichtig, dass ich 10 Meter zur Klinik habe oder ist es wichtig, dass die Klinik, die ich vielleicht in 20 Minuten erreiche, alles anbietet, was ich brauche?  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie lief die Bürgerbeteiligung? 

 

DAMMANN
Wir sind mit den sieben Alternativen in die Bürgerversammlung gegangen, haben aufgezeigt, was jeweils die Vor- und Nachteile sind und haben die Kostenannahmen thematisiert. Da konnte schon jeder sehen, die meisten Alternativen machen eigentlich keinen Sinn. Erst danach kam dann die Grundsatzentscheidung des Kreistages. Und die weitere Bürgerbeteiligung lief dann im Rahmen der Grundstücksauswahl. Wir wussten dann: Die vier alten Standorte werden geschlossen, aber wo soll das neue Klinikum entstehen? Auch da haben wir gesagt: Gehen wir mal mit einer gewissen Offenheit rein.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wieso gewisse Offenheit? Das klingt so nach ein bisschen offen… 

 

DAMMANN
Gewisse Offenheit deshalb, weil klar ist: So ein Klinikum muss eine gewisse Zentrumsfunktion haben. Man muss von überall dort gut hinkommen. Das war eines der Kriterien, die wir dann in der Ausschreibung abstrakt formuliert haben.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie wichtig war es, dass Sie den Prozess von einer externen Firma haben begleiten lassen? 

MÜLLER
Das war sehr wichtig! Zum einen, weil die uns mit ihrer Expertise enorm geholfen haben – beispielsweise bei der Entwicklung des Kriterienkatalogs für den Standort. Aber die Beraterin war auch für den Prozess nach außen wichtig: Die strahlt Kompetenz aus durch ihr ruhiges Auftreten. Und noch eines ist mir wichtig: Die Menschen, die Sie begleiten, müssen ins Team passen. Die Auswahl der Begleitung ist von großer Bedeutung. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Sind sie losgegangen mit der Idee: Das wird am Ende ein Zentralklinikum in Lörrach oder ist das auf dem Weg entstanden? 

 

MÜLLER
Rheinfelden war von den Grundstücksflächen und mit dem Bahnanschluss her ein wunderbarer Standort, aber wenn man auf die Landkarte geguckt hat ein wenig zu weit weg von der zentralen Lage. Schopfheim und Lörrach liegen nahe beieinander. Für mich wäre beides okay gewesen. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie haben Sie es geschafft, dass auch die Mitarbeiterschaft den Prozess offenbar weitgehend mitträgt? 

 

MÜLLER
So eine große Veränderung macht natürlich für den Einzelnen etwas. Wir werden auch nicht alle mitnehmen können, einige werden vielleicht ein Jahr früher aufhören. Und wenn wir einem einen Arbeitsplatz in Lörrach anbieten, der aber partout in Rheinfelden bleiben möchte, dann muss man sich auch trennen. Aber es haben ja jetzt alle mehrere Jahre Zeit. Deshalb sind viele davon gar nicht mehr betroffen. Aber die Klarheit und Transparenz, galt auch innen und es wurde klar: Es geht nicht gegen das Bestehende, sondern für etwas Neues. Aber wir haben das 2016 für 2025 beschlossen – das waren ja neun Jahre. In den Jahren von 2010 bis 2016 haben wir den Zentralisierungsprozess schon begonnen. Beispielsweise hat das Anästhesieteam die Arbeit dann schon in Lörrach und in Schopfheim gemacht und umgekehrt.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Zu welchem Zeitraum haben Sie die Mitarbeitenden einbezogen? 

 

MÜLLER
Von Anfang an. Aber unter den Mitarbeitenden ging es ja schon viel früher um die Probleme der bestehenden Verhältnisse.


DAMMANN
Wir haben die Mitarbeiter sehr früh über die einzelnen Standorte hinweg zusammen informiert, um das Ganze als gemeinsames Projekt voranzutreiben. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Hätte es nicht auch sein können, dass die Mitarbeitenden und die Bürger der jeweiligen Gemeinden auf jeden Fall ihre Häuser hätten behalten wollen? 

 

MÜLLER
Natürlich hätte das sein können. Aber wichtig war ja auch die Finanzierbarkeit. Instandhaltung ist nicht förderfähig, Neubauten schon. In Summe waren die Kosten für Instandhaltung natürlich niedriger. Aber die Mitarbeitenden wussten was es bedeutet hätte, im Bestand fünf bis sechs Jahre zu bauen. Da waren wir aber auch sehr ehrlich, dass wir die Kosten nicht exakt berechnen konnten. Hier wurde vor einigen Jahren neben dem Krankenhaus ein Strahlentherapiezentrum gebaut, und das hat schon zu ständigen Beschwerden geführt. Es hätte das Risiko bestanden, dass die Patienten etwa nach Freiburg gegangen wären. Dieses Risiko konnten wir gar nicht beziffern. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie würden Sie Ihre Kommunikationsstrategie beschreiben? 

 

DAMMANN
Nach innen und außen transparent informieren, Aspekte, die die Menschen vortragen, aufnehmen und abwägen. Wir haben beispielsweise nach den Bürgerversammlungen immer eine Zusammenstellung gemacht: Welche Argumente wurden vorgebracht, an welcher Stelle wurden die geprüft, wie sind sie bewertet worden?


MÜLLER
Wir haben den Menschen nicht erklärt: Das ist das alleinig selig Machende. Es gibt immer verschiedene Wege. Bei Nachfragen hatten wir immer Antworten, die Menschen haben gespürt, dass wir uns Gedanken darüber gemacht haben.  


DAMMANN
Es wäre falsch gewesen, zu polarisieren. Wir waren nicht die Allwissenden, die in Konfrontation gegangen sind, sondern wir haben immer nur nüchtern Konsequenzen aufgezeigt und gefragt: Wollt Ihr das so?


MÜLLER
Die Menschen, die man bei so einer Polarisierung verliert, weil sie gegen das Projekt sind, bekommt man nie wieder mit. Und wir wollten ja, dass Begeisterung entsteht und dabei alle mitnehmen. Dass wir die Varianten zur Diskussion gestellt haben, bedeutete ja auch nicht, dass wir beliebig waren. Wir waren ganz klar in unserem Vorgehen. Komplett laufen zu lassen funktioniert nicht. Einer hat die Ruder in der Hand, dann kann man den Kurs ein Stück weit korrigieren, wenn man Hinweise bekommt und die aufnehmen. Man muss manchmal auch den Vorwurf aushalten: Ihr wollt es ja sowieso so.


DAMMANN
Man muss über Prozesssteuerung wissen, wo man hinwill, aber man braucht eine ehrliche Offenheit. Ich glaube, das haben wir gut hingekriegt. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Sie haben eine gestufte Transparenz gewählt. Wie ist das gelungen? 

 

DAMMANN
Es ist uns gelungen, in der Klausurtagung die Basis zu legen. Da war auch bei uns damals noch eine sehr große Offenheit, aufzuzeigen, was es alles an Möglichkeiten gibt, aber schon zu wissen, dass man bei dem Prozess sehr vorsichtig sein und die Kreistagsmitglieder mitnehmen muss. Ich habe verständlich machen können: Wenn wir jetzt unüberlegt rausgehen und sagen: Wir wollen ein neues Klinikum oder dies oder das, dann geht es schief. Wir müssen erst informieren, müssen erst die Basis dafür legen, dann können wir in die Diskussion gehen und irgendwann Entscheidungen treffen. Und das wurde mir geglaubt. Ich war selber überrascht, dass sich 60 Leute dahinter gestellt und das so mitgetragen haben. Aber wahrscheinlich haben sie gespürt, dass wir bei diesem Thema die Bürger mitnehmen müssen und haben es für sich auch als Chance gesehen, dass zuerst mal die Bürger angehört werden und auch sie dann aus der Bürgerschaft erstmal hören können, wo die Probleme oder Herausforderungen liegen, was die Facetten und Argumente sind. Viele haben uns später gedankt, dass wir sie erstmal gebremst haben und dass sie selber erstmal eine Meinung bilden konnten zusammen mit allen anderen.


MÜLLER
Ich glaube, alle haben auch die gewisse Dringlichkeit gespürt: Wir haben immer wieder gesagt: Wir können viel machen, aber wir müssen auch entscheiden, denn die drei Gebäude fressen uns auf und tot.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Welche Rolle haben die Medien gespielt? 

 

DAMMANN
Die waren in der Gesamtstrategie enthalten. Wir haben mit ihnen Extragespräche geführt, um die Informationsgrundlagen zu legen und haben sie zu allen möglichen Veranstaltungen natürlich immer mit eingeladen.  


MÜLLER
Und es hat tatsächlich geholfen, dass von der Badischen Zeitung da ein Redakteur war, der immer viel und auch kritisch nachgefragt hat. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Was würden Sie anderen raten, die diesen Prozess vor sich haben? 

 

DAMMANN
Man muss sich über den Prozess, den man führen will und über die Kommunikation, sehr viel mehr und gründlicher Gedanken machen als vielleicht vor 10 bis 15 Jahren, weil die Menschen heute sehr viel sensibler reagieren und auch viel mehr Mitsprache einfordern. Ich behaupte, man braucht für die eigentliche Planung fast weniger Zeit als für dieses Thema.  

Momentan planen wir, die Baustelle zu öffnen, wir haben die Webcams, das ist nochmal ein wichtiger Prozess, damit die Leute, wenn die Türen 2025 aufgehen, mit Begeisterung reingehen, egal, ob sie Mitarbeiter, Patient oder Kreistagsmitglieder sind.  


MÜLLER
Man muss die Ausgangslage kennen, und dann die Strategie entwickeln. Und die Ausgangslage hat viel mit den Menschen zu tun. Ich habe mal von einem Projekt gelesen: Da haben sie drei Gutachten in Auftrag gegeben, das ist der Tod für so ein Thema. Damit schaffen Sie keine Transparenz. Man kann dagegen sein, aber man muss erkennen können, dass es Hand und Fuß hat, was da gemacht wird. So wie bei der Matrix: daran gab es Kritik, aber es hatte auch niemand eine Idee, wie man es anders machen sollte. Man muss sich klarmachen. Es sind immer die Menschen, die über den Prozess entscheiden.

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Was waren die Grundsätze Ihrer Strategie?  

 

DAMMANN 
Transparenz und Offenheit, weil nur das hilft, Vertrauen zu schaffen. Kreistag und Bürger müssen vertrauen können. Wir sagen auch immer, wenn wir etwas noch nicht wissen. Das ist auch im Bau- und Planungsausschuss so. Bis zu einer Entscheidung, haben wir das manchmal zwei-dreimal im Gremium gehabt. Alle können darauf vertrauen, dass sie nicht überfahren werden.


MÜLLER
Die Entscheidungen fallen dann auch nie in der Sitzung, in der ein Thema vorgestellt wird. Wir sagen: das könnte eine Möglichkeit sein und beim nächsten Mal wird erst darüber abgestimmt.

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Sie haben eine zusätzliche externe Kontrollinstanz eingerichtet, wie kam es dazu? 

 

DAMMANN
Der Wunsch kam aus dem Kreistag. Man hätte auch einfach sagen können: Wieso, der Klinikbau geschieht durch die GmbH, das geht Euch gar nichts an. Aber dann wäre eine große Unzufriedenheit entstanden. Also haben wir Lösungen angeboten und mit den Kreisräten zusammen entwickelt, wie wir es machen wollen. Die Person ist von außen, ist beim Projektmanagement der Kliniken angedockt, schaut sich alles genau an und gibt auch für uns wertvolle Hinweise. Als die begleitende Kontrolle bei den ersten drei Sitzungen gesagt hat, sie hätte gar nicht so richtig was zu kritisieren, waren die Kreisräte ganz skeptisch.  


STOLPE
Auch wenn die Baupreise steigen, machen wir das transparent und weisen nach, woher die Steigerungen kommen.  


MÜLLER
Jetzt ist man eher stolz, Teil des Projektes zu sein, weil es offenbar gut läuft. Das Misstrauen vom Anfang ist weg.  

Kontakt

Ihre Ansprechpartner  

rund um die Projekte zum Thema Transformation von Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem

Dr. Johannes Leinert
Dr. Johannes Leinert

Senior Project Manager
Bertelsmann Stiftung

Dr. Christian Schilcher
Dr. Christian Schilcher

Project Manager 
Bertelsmann Stiftung